Luftfahrt Knowhow
Mythos Antonov An-225 Mrija, die fliegende Legende
Norbert Behring
Nicht nur Luftfahrtinteressierte kommen ins Schwärmen, wenn die Rede auf „die große Antonov“ kommt. Nicht umsonst haben die Konstrukteure ihr den Beinamen Mrija (Traum) gegeben. Schließlich ist die Antonov An-225 das längste, schwerste und somit größte Flugzeug der Welt. Die Tatsache, dass es sich um ein Einzelstück handelt, sie weltweit unterwegs ist und es keine regelmäßigen Flüge gibt, macht die Maschine für Flugzeugfans noch interessanter. Luftfahrtfotografen fahren oft hunderte Kilometer, nur um den Giganten vor die Linse zu bekommen.
Die Realisierung des Traums
Entwickelt wurde die Maschine in den 80er Jahren vom Konstruktionsbüro O.K. Antonov in der ehemaligen Sowjetunion. Russland verfolgte in dieser Zeit mit dem Raumtransporter Buran ein vergleichbares Konzept wie die amerikanische NASA mit dem Space Shuttle. Ähnlich wie in den USA, wo eine Boeing 747 für den Huckepacktransport des Raumtransporters modifiziert wurde, beauftragte die russische Weltraumbehörde den Flugzeughersteller Antonov eine geeignete Maschine zu bauen.
Unter der Führung des Chefingenieurs Petro Balabujew griff man auf die bereits erprobte An-124 zurück und entwickelte daraus die größere An-225. Dafür verlängerten die Konstrukteure Rumpf und Spannweite jeweils um 25 Meter. Das Mittelteil der Maschine mit der Tragflächenaufhängung wurde neu entworfen, um zwei zusätzliche Triebwerke befestigen zu können. Auch das Leitwerk musste neu entwickelt werden. Beim Transport der Raumfähre wäre es ansonsten zu Steuerungsproblemen aufgrund von Luftverwirbelungen gekommen. Als Lösung entwarfen die Ingenieure ein Doppelleitwerk das der An-225 ein einzigartiges Erscheinungsbild verleiht. Ebenso wurde das Hauptfahrwerk modifiziert und verfügt auf beiden Seiten über zwei zusätzliche Rad-Paare. Insgesamt besitzt die An-225 32 Räder, die hinteren vier sind steuerbar. Wie bei der kleineren Schwester An-124 lässt sich das Bugfahrwerk absenken und die gesamte Bugsektion hochklappen. Hinter der Flugzeugnase befindet sich eine ausklappbare Rampe, über die Fahrzeuge jeder Art in das Flugzeug hineinfahren können.
Ein wahrer Gigant
Mit einer Länge von 84 m und einer Spannweite von 88,4 m war sie beim Roll Out das größte Flugzeug der Welt. Erst der Stratolaunch ROC, der 2019 seinen Erstflug hatte und ebenso ein Einzelstück ist, überragt die An-225 in Bezug auf die Spannweite. Zwar hatte auch das von Howard Hughes entwickelte Flugboot, Hughes H4 (Spitzname Spruce Goose), ebenfalls eine größere Spannweite, doch hob die Maschine nur ein einziges Mal zu einem Flug über 1,5 Kilometer ab. Da dieser Flug in einer Höhe von nur 20 Metern und somit innerhalb des sogenannten Bodeneffektes stattfand, konnte die Flugtauglichkeit der “Spruce Goose” nie nachgewiesen werden.
Doch zurück zu unserer Antonov An-225. Die Abmessungen des Laderaumes betragen 43,3 m in der Länge, 6,4 m in der Breite und 4,4 m in der Höhe. Daraus ergibt sich ein Laderaumvolumen von 1.200m³. Das entspricht in etwa 5 Wohnungen mit einer Wohnfläche von 90m² bei normaler Raumhöhe. Auf der Decke des Laderaumes sind Kransysteme angebracht, die im Flugzeug bis zu 30 Tonnen heben können. Die Tragflügeloberfläche beträgt beachtliche 930m². Hier wäre Platz für drei schöne Einfamilienhäuser mit Garten samt Swimmingpool.
Erste Auftritte und Einsätze
1988 begann das Konstruktionsbüro mit der Erprobung ihres Flugzeuges. In den nachfolgenden Jahren wurde die Antonov An-225 auf verschiedenen Luftfahrtschauen präsentiert. Meist trug sie dabei die Raumfähre Buran auf dem Rücken. Mit dem Zerfall der Sowjetunion wurde die Entwicklung des Raumtransporters eingestellt. Nachdem man keine Verwendung mehr für das Flugzeug hatte, wurde die Maschine 1994 am Flughafen Hostomel, nahe Kiev, in der heutigen Ukraine abgestellt.
Jahrelang eingemottet und einer ungewissen Zukunft entgegensehend, ergaben allerdings Ende der 90er Jahre Marktforschungen, dass es weltweit Bedarf für ein Transportflugzeug dieser Größenordnung gibt. Antonov begann daher mit der Reaktivierung der 225er und 2001 fand der zweite „Erst“flug statt. Seitdem wird das Flugzeug von der ukrainischen Antonov Airlines betrieben. Es ist für das Unternehmen auf der ganzen Welt im Einsatz. Bereits im März 2003 fand die erste, bis vor kurzem einzige, Landung in Österreich - und das in Linz - statt. Damals holte die An-225 einen über 120 Tonnen schweren Großtransformator ab, um ihn nach Phoenix/Arizona zu fliegen. Es war zu dieser Zeit erst der dritte kommerzielle Einsatz dieses Riesenfliegers.
Rekorde
Nicht nur mit dem Höchstabfluggewicht von 640 Tonnen schafft es die Antonov AN-225 ins Buch der Rekorde. Auch die Rekorde für die schwerste Ladung (247 Tonnen), das schwerste Einzelfrachtstück (187 Tonnen) und die Ladung mit dem größten Volumen (1.000m³) kann die An-225 für sich verbuchen.
Von Hubschraubern, Großtransformatoren, über Gastanks bis hin zu Eisenbahngarnituren und Segelrennyachten gehen die Spezialaufträge, die mit diesem Flugzeug abgewickelt werden können. Eine nette Anekdote gibt es von einem Großauftrag in den Anden zu berichten. Auf einem der anzufliegenden Flughäfen war kein entsprechend starkes Schleppfahrzeug vor Ort. Also packte man bei Antonov den eigenen Schlepper ins Flugzeug und nahm ihn mit auf die Reise. Eine Spezialschleppstange mit dem Gewicht von 1,2 Tonnen ist ohnehin immer mit an Bord.
In den Jahren 2019/2020 wurde die damals bereits knapp 30 Jahre alte Maschine einer 18-monatigen Generalüberholung unterzogen. Unter anderem bekam sie eine neue Steuerungselektronik für die Triebwerke. Da die Maschine trotz ihres Alters erst sehr wenige Flugstunden am Buckel hat, ist ein Ende ihrer Einsatzzeit vorerst nicht absehbar. Trotz der umfangreichen Modernisierungsmaßnahmen hat Antonov beschlossen, das Flugzeug weiterhin mit einer 6 Mann Besatzung zu fliegen. Diese besteht aus zwei Piloten zwei Flugingenieuren, einem Funker und einem Navigator. Nebenbei bemerkt, als Pilot der Antonov An-225 bekleidet man einen der exklusivsten Jobs der Welt. Zurzeit gibt es nur sechs ausgebildete Piloten, die die Maschine fliegen dürfen.
Zukunft
Immer wieder hört man von Interessenten, speziell aus China, die eventuell weitere An-225 in Lizenz bauen möchten. Allerdings haben sich sämtliche Gerüchte bis jetzt nicht bewahrheitet. Ebenso liegen im Werk von Antonov Teile für eine zweite Maschine. Nach Angaben des Herstellers wäre die Maschine sogar zu rund 70 Prozent fertiggestellt. Um eine Zulassung für eine neue Maschine zu erlangen, müsste sie allerdings auf den neuesten technischen Stand gebracht werden. Das würde zusätzliche Kosten verursachen, die das Flugzeug im regulären Flugbetrieb nie verdienen könnte. Auch die Entwicklung einer noch größeren Nachfolgerin wurde wieder eingestellt. So wird die Antonov An-225 wahrscheinlich auf ewig ein Einzelstück bleiben. Was auch immer die Zukunft für die Mrija bringen wird, wir freuen uns, dass wir die Maschine ein zweites Mal in Linz begrüßen konnten. Bei nur rund 20 Einsätzen pro Jahr gehört der Flughafen Linz zu einem exklusiven Kreis an Airports, an denen die Maschine jemals gelandet ist, ganz zu schweigen von Airports mit zwei oder mehr Landungen.